Die Bülle, oder: Wenn Klose wäre wie eine rohe Zwiebel

Bei aller zu erwartender Fußball-Euphorie darf das leibliche Wohl nicht zu kurz kommen. Für die kulinarische Begleitung der WM konnte die Redaktion vom Suedkurier  wieder Hubert Neidhart gewinnen, den Chef des Gasthauses  Grünen Baum in Moos

Koch- und Fußballkünste? Unser Kolumnist Hubert Neidhardt weiß Bescheid.

„Es ist wieder soweit, die WM beginnt – das Fußballfieber infiziert die halbe Welt. Als wäre die Vaterlandsliebe neu entfacht, fiebern ganze Nationen dem Turnier entgegen. Auf dieser Woge des neu entflammten Lokalpatriotismus möchte ich ein smartes Fähnlein der regionalen Küche schwenken und inmitten der WM-Berichterstattung im Sportteil des SÜDKURIER mit Geschichten und Rezepten über die kulinarische Vielfalt auf unserer Erde Auskünfte geben.

Vor der WM-Eröffnung die Geschichte, wie aus gewöhnlichem Gemüse ein kulinarisches Alleinstellungsmerkmale ganzer Regionen werden kann.

Die Höri-Bülle: Die Reichenauer Mönche haben dieses Zwiebelgewächs bereits vor 1200 Jahren auf der Insel eingeführt. In Kalabrien waren sie auf die Gemüsezwiebel aufmerksam geworden. Dort wurde deren Eigenschaften als Heil- und Gemüsepflanze aufs höchste gepriesen. Der Klosterküche konnte ein bisschen neue Würze nicht schaden und als Heilpflanze würde ihr der Zugang zum Klostergarten sicherlich nicht verwehrt. Also entschloss man sich, die Cipola, wie die Zwiebel in Kalabrien genannt wird, mit auf die Insel zu nehmen.

Doch das Mikroklima und der steinige Moräneboden behagten der Knollenfrucht überhaupt nicht, sie wollte nicht gedeihen. Die Mönche machten sich rings um den Untersee auf die Suche nach einem besser geeigneten Moor- und Sandboden. Auf der Halbinsel Höri wurde man schließlich fündig. Nicht nur die Bodenbeschaffenheit war genial, mit den Höribauern fand man auch gleich die richtigen Gärtner.

Auf der Halbinsel wiederum hatte man Respekt vor der geistigen Obrigkeit der gegenüberliegenden Klosterinsel. Man unterdrückte die Zweifel, ob denn diese so exotisch anmutende Frucht überhaupt an den See gehöre – und ob man sie in der heimischen Küche überhaupt nützlich gebrauchen könne. Ungläubig wurde dem Willen der Mönche Folge geleistet und die Zwiebel auf den Äckern der Höri angepflanzt. Aus Cipola wurde Bülle.

Roh wie gekocht wurde sie im Laufe der Jahrhunderte zu einem typischen Bestandteil der Unterseeregion. Selbst auf Schloss Arenenberg, bei den Franzosen, wurde man auf das Gewächs aufmerksam. Schon lange suchte man einen gleichwertigen Ersatz für die französische Schalotte, die im Thurgau nicht so richtig gedeihen wollte. Die Bülle von der Höri schien ähnliche Geschmackseigenschaften und gleiche Verwendungsmöglichkeiten in der Küche aufzuweisen. Endlich war ein gleichwertiger Ersatz für die rote „echalote“ gefunden. Der Fortbestand französischer Kochkunst auf Arenenberg war gesichert. Schon bald erzählte man auf den Märkten der umliegenden Städte von kaiserlichen Gerichten, die durch die Würzkraft der Bülle veredelt wurden. Die Höri-Bülle wurde „en vogue“ im Bodenseeraum. Heute gilt sie als typische Zutat der regionalen Bodenseeküche. Auf der Halbinsel veranstaltet man alljährlich ein Büllefest, bei dem sich alles um die Zwiebel dreht.

Und was den Fußball angeht: Da hoffe ich, dass die deutschen Stürmer in Südafrika so scharf zur Sache gehen, wie eine rohe Zwiebel auch sein kann. Auf dass den gegnerischen Verteidigern die Tränen in die Augen schießen und nicht etwa uns deutschen Fans, wenn Miro Klose wieder mal am Tor vorbeischießt…

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